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DER BERUFSTOURIST

Touren erledigen ist eine Sache, Touren erleben eine ganz andere. Die Leidenschaft von Edwin Kuiper ist definitiv Letzteres. Denn er genießt es, auf den Straßen Europas daheim zu sein.

Edwin Kuiper ist 49 Jahre alt und lebt in Doetinchem, einer kleinen holländischen Stadt an der Grenze zu Deutschland – wenn er mit seinem Stahltransporter nicht gerade kreuz und quer durch Europa unterwegs ist. Der selbstfahrende Unternehmer ist bereits seit 35 Jahren „lasterverliebt“ und obwohl es in dieser Beziehung auch schon mal kriselte, ist er ihr doch treu geblieben. „Angefangen hat diese Liebesgeschichte, als ich noch ein Jugendlicher war und mich die ersten Touren als Beifahrer von einem befreundeten Fernfahrer nach Italien, Schweiz, Österreich und Deutschland führten“, erinnert er sich. „Mit einem Truck, thronend über allem anderen, ins Ausland fahren, raus aus dem Dorf. Für mich als junger Kerl war es das Größte und auch das Beste, was mir damals passieren konnte.“ Wenn er erzählt, merkt man ihm an, dass diese ganz besondere Art des Rumkommens in der Welt auch nach all der Zeit noch nichts an Magie für ihn verloren hat.

„Ich dagegen kann überall hinfahren, aber auch jederzeit wieder zurückkommen. Hier ist mein Zuhause, mein Heimat ist Europa.“

„Übertroffen wurde das nur davon, endlich selbst ins Steuer greifen zu können und die Touren selbst auszusuchen, als ich mit 18 meinen Lkw-Führerschein machte. Seitdem bin ich immer unterwegs. Ich kann nichts Anderes – und ich will nichts Anderes. Trotz und gerade wegen aller Erfahrungen, um die ich inzwischen reicher bin“, beschreibt er. Edwin baute sich über die Jahre ein eigenes Transportunternehmen mit mehreren Mitarbeitern auf. Auch wenn er von Montag bis Freitag das Büro schmiss, musste eine eigene Tour immer noch drin sein, das Fernweh lässt sich nur schlecht an den Schreibtisch ketten. „Ein kurzer Abstecher nach England übers Wochenende? Immer her damit! Meine Motivation war es stets andere Länder, andere Kulturen, andere Sitten und andere Eigenarten kennen zu lernen. Ich betrachte mich nicht als Lkw-Fahrer, sondern vielmehr als Berufstourist.“ Er lächelt, während er das sagt, und ergänzt: „Es ist doch so, man hat nur ein Leben und viele der Leute kommen nicht raus aus ihrem „Dorf“. Ich dagegen kann überall hinfahren, aber auch jederzeit wieder zurückkommen. Hier ist mein Zuhause, mein Heimat ist Europa. Das ist doch genial, oder?“

Sein Zuhause teil sich Edwin mit seiner Frau Liz. Mit seiner anderen „Liebe“ hat sie kein Problem. Ganz im Gegenteil, denn Liz war selbst sechs Jahre mit einem 40-Tonner im internationalen Fernverkehr unterwegs und fuhr für das Transportunternehmen von Edwin. Er grinst: „Früher war ich ihr Chef, heute hat sie das Zepter in der Hand und ich tanze nach ihrer Pfeife.“ Während Edwin unterwegs ist, konzentriert sich Liz inzwischen vornehmlich auf die Pflege einzelner Pferdestärken, denn ihre Mutter betreibt eine Pferdezucht und braucht ihre Hilfe. Eine Aufgabe, die sie genauso sieben Tage die Woche fordert und durch den sich gemeinsame Fahrten leider nur selten realisieren lassen. „In der Arbeit mit den Tieren geht sie auf, ich denke nicht, dass sie unglücklich ist. Doch eins hat sie mir zuletzt erst verboten: ihr traumhafte Bilder von meinen Touren zu schicken“, erzählt Edwin und kann sich dabei ein Schmunzeln nicht verkneifen, „das Fernweh scharrt wohl auch im Pferdestall noch mit den Hufen!“.

Um die eine oder andere Impression von unterwegs kommt Liz aber nicht herum, denn Edwin teilt seine Eindrücke in schöner Regelmäßigkeit mit seinen Facebook- und Instagram-Freunden. Wer ihm folgt, erkennt schnell: Für Edwin sind die Aufträge, die er überwiegend für einen festen Kundenstamm fährt, nicht nur Jobs, die erledigt werden müssen, nein, er versucht stets seine Touren im wahrsten Sinne des Wortes zu erleben. „Ich bin einfach gerne zu Gast in anderen Ländern und immer neugierig darauf, wie es dort zugeht. „Die Welt entdecken“, das ist mein Lebensmotto“, beschreibt er mit funkelnden Augen. Dabei ist ihm auch der Kontakt zu den Menschen sehr wichtig. „Das rundet das Ganze ab, man kann sich austauschen, lernt mehr über die einzelnen Länder und erfährt, was die Leute bewegt.“ Gerne redet er auch mit fremden Fahrerkollegen über die gängigen Dinge, wie Lkw-Technik, Rastplatzerfahrungen, die letzten Polizeikontrollen oder aber kulinarische Erlebnisse – zur Not mit Händen und Füssen, denn Sprachbarrieren schrecken ihn nicht ab. Aber auch völlig fachfremde Themen sind für Edwin immer interessant: „Ich bin häufiger in Thüringen unterwegs. Da soll es die beste Bratwurst der Welt geben, sagte man mir, als ich zum ersten Mal dort war. Eine Empfehlung, wo ich unbedingt eine essen müsse, bekam ich obendrauf. Ich also in der Mittagspause da vorgefahren und gedacht, hoppla, bin ich hier richtig? Der Typ sah aus, als wäre er in einer Rocker-Gang.“ Doch Edwin bekam eine Tasse Kaffee in die Hand gedrückt und durfte dem Fleischer von der Wurstherstellung bis hin zum Braten der Selbigen die ganze Zeit über die Schulter schauen – eine ausführliche Erzählung über die Historie der Thüringer Bratwurst natürlich inklusive.

„Früher war meine Devise ‚Ich brauche nur mich’. Heute sehe ich eher das große Ganze.“

„Vorurteile sind in diesem Job sowieso nicht wirklich hilfreich. Wenn ich offen zu den Menschen bin, lassen sich viele Dinge schneller klären und bringen mich wesentlich weiter, als wenn ich mich selber den Anderen gegenüber verschließe. Das habe ich im Lauf der Zeit gelernt“, gibt Edwin unumwunden zu. Früher, so sagt er, lebte er nach anderen Werten: „Meine Devise war ‚Ich brauche nur mich’. Heute sehe ich eher das große Ganze. Wenn der Ingenieur nichts entwickelt und zu Papier bringt, kann der Fabrikarbeiter nichts produzieren, der Kunde wiederum kann dann auch nichts bestellen und es endet schlussendlich darin, dass ich keinen Job mehr habe.“

„You get what you give“ – Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch heraus, das ist heute Edwins zweites Lebensmotto. Darum versucht er immer das Beste aus allem zu machen, auch wenn es nicht rund läuft: „Einmal war ich zum Beispiel an einem Freitag auf dem Heimweg, eigentlich nur knappe zwei Stunden Fahrt noch. Aber Stau, Sperrungen und alles was man sonst noch so auf deutschen Straßen erleben kann, zwangen mich zu einer unfreiwilligen Übernachtung in der Eifel. Doch die Laune wollte ich mir davon nicht verderben lassen. Also galt mein erster Anruf Liz und der zweite war ein Rundruf unter meinen holländischen Freunden um herauszufinden, ob noch jemand in der Gegend unterwegs war.“ Der Abend endete zu fünft in einem gemütlichen Imbiss, den die Kollegen im nahen Industriegelände entdeckten. Am nächsten Morgen ging es dann tiefenentspannt im holländischen Konvoi nach Hause. Pläne durchkreuzt, dennoch hat sich etwas Gutes daraus ergeben.

Ein weltfremder Träumer ist Edwin trotz seiner positiven Einstellung zu seinem Beruf aber keinesfalls. Denn wie hart die Branche ist, hat er schon am eigenen Leib erfahren müssen: „2010 musste ich mein Transportunternehmen mit all meinen Angestellten aufgeben. Es war in seiner Form einfach nicht mehr rentabel. Das hat mir das Herzen gebrochen.“ Diese schmerzliche Erfahrung geprägte ihn tief und machte ihn anfällig für Frust und Lethargie, die sich zunehmend unter den Fahrern ausbreitete. „Auch wenn ich sehr schnell wieder auf dem Bock war, musste ich feststellen, dass ohne diese Leidenschaft und Freude meine Arbeit und ganz besonders meine Effektivität leiden“, erinnert er sich. Doch durchs Zähne zusammenbeißen, sich ganz aufs reine Fahren fokussieren und, vor allem, durch die Unterstützung von Liz schaffte er es, wieder Mut zu fassen und nach vorn zu blicken. „Meine Frau hat mir frische Energie gegeben, mich motiviert und mir gezeigt, dass man auch mal mit alten Dingen abschließen muss, um sich neuen zuwenden zu können.“ Nun konzentrierte sich Edwin als Ein-Mann-Unternehmen wieder auf das Kerngeschäft. Eine große Spedition zu führen, reizt ihn nicht mehr. „Ein guter Freund hat mir schon oft eine Partnerschaft angeboten, doch er möchte mich gerne im Büro haben zur Planung und Organisation des Unternehmens“, verrät er, „dafür bin gerade definitiv nicht bereit. Ich weiß nicht, wie es in fünf Jahren aussieht, aber das lasse ich auf mich zukommen.“

Außerdem will Edwin jetzt erstmal seinen „Black Diamond“ genießen, ein nagelneuer Renault T 520, den er sich vor zwei Jahren gönnte. „Mein erster schwarzer Lkw. Das war ein lang gehegter Wunsch, den ich mir erfüllte. Früher nahm man ja, schön ökonomisch, immer das Fahrzeug, das gerade fix verfügbar war.“ Dass Edwins Liebe zum Laster wieder heiß entflammt ist, lässt sich unschwer an den Details erkennen, angefangen bei den vielen kleinen Applikationen an der Zugmaschine bis hin zu den feinen, bestickten Spanngurten mit seinem Schriftzug. Bis auf Norwegen und Irland war Edwin in den letzte drei Jahrzehnten übrigens in jedem Land Europas unterwegs. „Da sind schon einige Kilometer zusammengekommen und die letzten beiden fehlenden Punkte auf der Landkarte werden mein Truck und ich ganz sicher auch noch abhaken – vorher höre ich nicht auf!“

Fotos: Gregor Hesse | Text: Gregor Hesse / Sandra Moser

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